Abschrift

Experimentalfältet den 25. Februar 1923

An Professor G. Bredig, Karlsruhe

Lieber alter Freund:

Ich erhielt vorgestern Deinen interessanten Brief nebst Auszug aus der Rektoratsrede und danke allerbestens dafür und besonders für die guten Wünsche zu meinem 65. Geburtstag.

Aus der einen Beilage ersehe ich, dass die militaristisch Gesinnten sich geägert haben, dass die Kriegs-Generäle nich so hoch geschätzt werden wie sie verdienen. Sie mögen nur ihre Blicke nach Westen wenden, so können sie sehen, wie stets Marschall Fock herbeigerufen wird, wenn es gilt alle Gefühle der Humanität zu unterdrücken. Es ist das ihre spezielle Aufgabe.

Was die Einführung von humanistischen Fächern an den technischen Hochschulen betrifft, glaube ich, dass dies wenigstens bei uns, nachteilig wirken würde. Denn die Studenten sind so wie so, mit ihrer Arbeit in technischen Fächern bis zum Aeussersten ausgenutzt. Eine Zulage von humanistischem Unterricht würde deshalb nur möglich sein, wenn die Studentenzeit verlängert wird, die wird aber schon jetzt als zeitraubend angesehen.

Es kommt nicht daruaf an, dass man in humanistischen Fächern unterrichtet wird. Ich meine, mann sollte beim Unterricht hervorheben, dass die Produktion von Nützlichkeiten, wodurch das Leben der Menschen gesunder und angenehmer wird, der hauptsächliche Zweck der Ingenieure ist. Jetzt wird es wohl so dargestellt, dass es gilt so viel Geld als möglich in kürzester Zeit zusammenzuschnarren – welche Mittel dazu benutzt werden, ist irrelevant – wenigstens sagt man nichts davon, falls man nur nicht Schwierigkeiten von

gesetzlicher Seite begegnet. Diesselbe Denkweise liegt auch dem Auftreten der Staaten zu Grunde. Der krasseste Egoismus wird als der einzige Triebfeder angesehen. Man unterhandelt jetzt, wird mir gesagt, über eine Ünterdrückung oder wenigstens Herabsetzung des Opium-Importes nach China. England und auch das gute Holland, welche viel Opium in ihren Kolonien producieren, machen so viele Schwierigkeiten wie möglich gegen diesen Gesetzentwurf - ich zweifele nicht daran, dass sie dabei einen Haufen von humanitären Phrasen abdreschen.

Was die Vereinigten Staaten von Europa betrifft, so sind wir durch Geschehnisse der letzten Jahrzente fürchterlich von der Realisierung dieses Ziels entfernt worden. Man möge ja den Bund der Nationen betrachten – jeder einzelne Staat wenigsten Gross-Staat hat absolutes Veto, ganz wie im polnischen Reichstag vor der Teilung Polens. Nur allmählich kann der Bund sich kräftigen – der Stärkungsprozess wird viele Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Aber wenn nicht die unglaubliche Torheit in einem Sekel*["Säkulum"] (bei uns sind 110 Jahre vergangen) einen Krieg aufbeschwört und die Ruhe stört, wird eine Art Koagulationsprocess eintreten mit Stabilisierung der Verhältnisse, so dass die Streitfragen ohne Waffen gelöst werden können. Uebrigens kann man ja jetzt sehen, dass die mit Waffen beigebrachte Lösung keine Lösung ist, viel eher das Gegenteil.

Also im Grossen und Ganzen bin ich Deiner Meinung, aber wie die Menschen nun sind, kann man nicht erwarten, dass die neuen glücklicheren Verhältnisse mit einem Schlage eintreten.

Etwas sehr trauriges ist das Hereinschleppen von Kolonialtruppen zur Unterdrückung von zivilisierten Menschen. Es ist ja diese eine Wiederholung der Zustände in Rom kurz vor einem Sturz. Die Barbaren fühlen bald wo die Macht liegt und nehmen sie und unterjochen am Ende ihre Besolder. Sie bekommen Verachtung für den weissen Mann. Es wackelt ja auch die englische Herrschaft in Indien

in bedenklicher Weise.

So viel ich verstehe, liegen die Verhältnisse für die intellektuellen Arbeiter ungefähr ebenso in Frankreich wie in Deutschland. Man hat in F. ein C.T.J (coopération des travailleurs intellectuels) gebildet, um die Interessen der Gelehrten, Ingenieure und Lehrer, Arbeiter u.s.w zu wahren. Sie werden schlechter bezahlt als Körperarbeiter. Wie es in der Länge mit der Wissenschaft hier in Europa gehen soll, ist mir unverständlich. Wir gleiten vorläufig etwas in die Barbarei hinunter.

Mit den herzlichen Grüssen von Haus zu Haus,

Dein treue ergebener
gez. Svante Arrhenius

Duplicate

The Fields for Experiments at the Royal Swedish Academy of Agriculture and Forestry, 25 February 1923

To: Professor G. Bredig, Karlsruhe

My dear old friend:

The day before yesterday, I received your interesting letter along with an excerpt from the Rector's speech. Thank you very much for these, especially for the good wishes on the occasion of my 65th birthday.

From the one enclosure, I can see how individuals who support the military are annoyed that the war generals are not as highly regarded as they deserve. They only have to turn their gaze westward to see how Marshal (Ferdinand) Fock is called in to suppress all notions of humanity. That is their express purpose.

With regards to the introduction of humanistic subjects at technical universities, I believe this development would have an adverse effect, at least for us. The students are already thoroughly engaged with their work in technical subjects. An allowance for humanistic education would only be possible with the extension of the study period. However, this is already viewed as time-consuming.
It does not matter if one receives a humanistic education. In my opinion, it should be emphasized in lectures that the primary purpose of the engineering profession is to be useful and make people's lives healthier and more enjoyable. At the moment, the primary emphasis of an engineering education is to make as much money as possible in the shortest amount of time. How this is achieved is irrelevant. At least no one says anything about it, especially if legal difficulties are avoided.

Nation states share a similar mentality. Flagrant egoism is viewed as the only driving force. I am told that they are now negotiating how to reduce opium imports to China. England and good old Holland, which produce a lot of opium in their colonies, are defying this proposed legislation. I have no doubt that throughout this process, they are speaking in humanitarian platitudes.

As for the United States of Europe, events of the past few decades have terribly prevented us from achieving that goal. Look at the League of Nations, for example. Every single state, at least a major state, has absolute veto, just like the Polish parliament before the partition of Poland. The union can only gradually gain strength, but this process will take many decades. However, if the unbelievable foolishness of the last century (110 years have passed) does not invoke war and disturb the peace, the situation will stabilize so that disputes can be resolved without weapons. Incidentally, we can now see that a solution involving weapons is not a solution, but rather the opposite.

For the most part, I agree with you. However, with the way people are now, we cannot expect circumstances to suddenly improve.

One unfortunate situation is the arrival of colonial troops to suppress civilized people. Similar circumstances occurred before the fall of Rome. The barbarians sense where power lies and seize it. In the end, they subjugate their own superiors. They develop contempt for the white man. English rule in India is also seriously wavering.

As far as I understand, the conditions for intellectuals in France are comparable with those in Germany. The C.T.J (coopération des travailleurs intellectuels) in France was formed to protect the interests of scholars, engineers, teachers, and workers, etc. They are paid less than manual laborers workers. How science will develop in Europe in the long run remains unclear to me. For the time being, we are approaching barbarianism.

Warm regards from our home to yours!

Yours truly,
Svante Arrhenius